Hubschraubergeräusche, surrende Rotoren, amerikanische Funksprüche.
„Yeah, guess that`s it. We’re touching down. Over.“
Der Hubschruber geht langsam tiefer, er landet auf einer Wiese vor einem alten bayerischen Wirtshaus. Aus der Maschine kommen vier Männer Mitte Dreißig, die nach Secret Service aussehen, Lederjacken, Sonnenbrillen, Draht hinter dem Ohr. Sie gehen an ein paar parkenden Autos vorbei auf das Haus zu.
Vor dem Wirtshaus steht ein Mann mit einem ausladenden Schnurrbart, Lederhose, Haferlschuhen, weißem Trachtenleinenhemd und Weste und einem breitkrempigen Filzhut auf den mittlerweile grauen und nicht mehr gar so dichten Locken.
Einer der Männer geht als Wortführer auf den Wirt zu. Er hat einen starken amerikanischen Akzent.
„Sind Sie die Wirt von die „Gotzinger Trommel“?“
„Aa, scho.“
„Pardon, sind Sie die Wirt von die „Gotzinger Trommel“?“
Die anderen Sicherheitsleute stehen etwas im Hintergrund, kauen mit offenem Mund auf ihren Kaugummis und kicken ein weggeworfenes Stück zusammengeknülltes Papier mit den Spitzen ihrer Stiefel.
„Ja, der bin ich.“
„Well, vielleicht Sie haben gehört, Mr. President, er ist in München. Actually der Ex-President, Mr. Clinton, er ist gegangen auf die Wies’n, die Oktoberfest, und er macht noch ein bißchen sightseeing in das schöne Bayernland. Er möchte gehen in original „Wirtshaus“ und essen gute bayerisch Ente. Kann man machen hier für Sonntag die reservation, die Vorbestellung?“
„Mei, dann kummt’s hoid her, dann kriagt’s scho epps zum Essen. Nächst’n Sonntag is Kirchweih, wenn’s do kemmt’s, do ham’ma gnua Ent’n do.“
„Well, also die Vorbestellung ist gemacht für sechs persons, Mr President und sein Frau und vier friends, okay?“
„Aa, paßt scho.“
„Sie wissen, das ist very wichtig, es ist Mr. President!“
„Freile!“
***
Eine gutbürgerliche Wohnung in der Stadt. Eine hübsche junge Frau greift zum Telephonhörer. Es kommt das Freizeichen, dann hebt jemand ab.
„Aa?“
„Grüß Gott, ist dort die „Gotzinger Trommel“?“
„Aa.“
„Ja, also ich wollte gerne für unsere Familie vorbestellen, für Kirchweih nächsten Sonntag, für Hartberg.“
„Aa.“
„Also, wir sind neun Personen, und ich wollte gerne Ente bestellen, also Ente für neun Personen.“
„Mei, dann kummt’s hoid her, dann kriagt’s scho eire Antal.“
„Ja, aber das ist jetzt schon sicher mit der Vorbestellung?“
„Aa, paßt scho.“
„Weil, wir sind wie gesagt neun Personen, und ohne Vorbestellung würden wir ja keinen Platz bekommen…“
„Na, na, paßt scho.“
„Also, dann bestelle ich neun Enten für Familie Hartberg.“
„Ja, is scho guat.“
***
Es ist Kirchweihsonntag, der dritte Sonntag im Oktober. Nach einem heißen Sommer, in dem die Menschen nicht glauben konnten, daß man auch in Mitteleuropa so unter der Hitze leiden kann, daß man froh war, in die kühlen U-Bahn-Schächte zu kommen, ist auch dieser Tag noch sehr warm.
Der erste Trupp des Hartberg -Clans kommt an bei der „Gotzinger Trommel“. Es ist die älteste Tochter Sarah mit ihrem Mann. Sie hat seit ein paar Wochen einen Bänderriß, humpelt und geht mit Krücken. Sie tritt in den kühlen Hausflur des alten Wirtshauses, wo der Wirt steht. Auch er hat eine Fußverletzung und einen dicken Verband. Sie packt ihr Bayerisch aus, schämt sich ein bißchen dafür und weiß nicht recht, ob das nicht vielleicht doch anbiedernd ist, sagt dann aber trotzdem:
„Ham Sie a an weha Fuaß!?“
„Ja, scho.“
„Und, was ham Sie g’macht?“
„Aa, krank is a.“
„Ja, und wos is?“
„Mei, woast, a Loch is hoid drin.“
Offenbar ist nicht mehr aus ihm herauszubekommen. Wahrscheinlich ist es Zucker, denkt sich Sarah, und dafür schämt er sich wohl, weil es ja eine nicht gerade klassisch männlich heldenhafte Krankheit ist. Wäre er bei der Gamsjagd in der steilen Wand gestürzt, würde er das sicher gerne erzählen.
***
Mittlerweile sind alle Familienmitglieder angekommen, Mutter und Vater und die anderen drei Schwestern, Maria, Laura und Judith und die Schwiegersöhne und der kleine Enkel Maximilian. Die Sonne hat noch richtig Kraft, man sitzt an den grob gezimmerten Holztischen vor dem Haus, bestellt schon mal ein Bier, blinzelt in die Sonnenstrahlen und genießt die bald wohl letzten Stunden, die man noch draußen sitzen kann, bevor dann doch irgendwann der Herbst und der Winter kommen werden.
Eigentlich mag noch keiner so recht in die Stube hineingehen, bis auf den Vater, aber es hat ja keine Eile. Sarah geht sicherheitshalber zum Wirt und versichert sich, daß die Enten reserviert sind, für Hartberg, ja, ja.
Nach einer guten Stunde geht man dann in die Stube hinein. Die Vorbestellung hat soweit also schon mal geklappt, es ist Platz für alle da an dem großen gescheuerten Holztisch vor den kleinen Holzfenstern. Die Stube ist voll besetzt, es ist warm und schon geheizt, alle ziehen Mäntel, Schals und Jacken aus, bis auf Judith, die jüngste der vier Schwestern, die immer etwas verfroren ist, weil sie sich auch um diese Jahreszeit nicht von ihren sockenlosen Sommer-Ballerinas trennen kann.
Allmählich haben sich alle sortiert und die Mäntel verräumt, und für den kleinen Maximilian ist sogar ein Kinderstuhl da, der an den Tisch geschoben wird. Alle studieren eifrig die Speisekarte, auch wenn man die Enten reserviert hat; man will ja nur sehen, was es sonst noch so gäbe. An den Nachbartischen werden dampfende knusprige Enten und Gänse mit Knödeln und Kraut serviert, Bier wird nachbestellt, die Bedienung hat alle Hände voll zu tun, und es dauert auch einige Zeit, bis sie an den Familientisch kommt, um die Essensbestellung aufzunehmen, wo alle schon in froher Erwartung des Festtagsbratens sind.
Der erste bestellt seine Ente.
„Na, aiso Ent’n san jetzt aus.“
Nach einem kurzen Moment des stillen Erschreckens beginnt ein allgemeines ungläubiges Rumoren am Tisch, „Das gibt’s doch nicht!“, „Wir haben doch vorbestellt!“, „Aber vorhin waren doch noch welche da!“. Es nützt alles nichts, keine Enten mehr da.
„Drei Gansal häd i no.“
Drei Gansal. Besser als gar nichts. Drei der Familienmitglieder halten sich an die Gänse, die anderen blättern noch einmal, dieses Mal aber mißmutig, in der Speisekarte.
***
Die älteste Tochter humpelt auf diesen Schreck hin erst einmal hinaus vor das Haus, eine rauchen. Es ist noch immer warm, und an dem großen Holztisch vor dem Haus sitzen nun andere Gäste, sichtlich aus der Stadt, mit teuren Wildlederdesignerklamotten im Landhausstil und hochdeutschem Idiom. Preißn. Im Landhauslook. Was aber noch viel schlimmer ist: alle haben dampfende Enten und Gänse auf den Tellern vor sich, alle reihum. Alle.
Sarah geht wieder hinein.
„Stellt euch vor, die Leute, die nach uns gekommen sind, die sitzen draußen und haben alle Gänse und Enten!“
Der Vater, der ganz gerne schon früher in die Stube gegangen wäre und nicht das erste Mal das Gefühl hatte, auf seine Familie warten zu müssen, meint etwas maliziös, da sei man jetzt selbst schuld, man sei eben zu spät hineingegangen.
„Aber als wir draußen gesessen sind, waren die Enten doch noch da“, sagt Sarah, „ich hab‘ doch extra nochmal nachgefragt. Wenn die schon sehen, daß wir da sind, dann können die Enten doch nicht eine Stunde später einfach weg sein!“
Um sich ein wenig abzureagieren, wird dann die zweifellos fragwürdige Zuverlässigkeit des Wirts erörtert.
„Mußt Dir mal das Photo von ihm als Junger anschau’n“, sagt die Mutter zu Sarah, „drüben in der anderen Stub’n, der alten, die ja eh noch viel schöner ist als die hier, a richtiger Bazi war des, a Weiberer war er wahrscheinlich a rechter, ist er jetzt noch, oder wär‘ er, wenn er noch so könnt‘!“
Sarah humpelt hinüber. Das Schwarzweißphoto in der alten Stube zeigt in der Tat einen sehr feschen, sehr bazihaften jungen Mann mit schwarzem ausladenden Schnurrbart und wilden schwarzen Locken, die unter dem schräg auf dem Kopf sitzenden Filzhut hervorquellen, im Blick ein anarchisches Glühen. Kein Wunder, daß man bei so einem nicht vorbestellen kann.
„Und dabei habe ich extra noch ein zweites Mal angerufen!“, sagt Laura, „Weil ich mir schon gedacht habe, also, so, wie der beim ersten Mal geklungen hat, ob das wirklich zuverlässig ist mit der Vorbestellung. Aber hat ja nichts genutzt, offenbar.“
„Also, die anderen Sachen, die wir bestellt haben, werden ja auch gut sein“, versucht Maria zu beschwichtigen, die immer einen großen Sinn für Harmonie hat und einen pragmatischen Blick auf die Dinge, „Dann gehen wir nächstes Jahr eben woanders hin an Kirchweih!“
***
Mittlerweile bekommt einer der Schwiegersöhne sein Essen, eine Entenalternative, die anderen Essen sind immer noch nicht da. Die Ungeduld der Familie wächst, der kleine Enkel greint, weil er Hunger hat.
Sarah gibt noch nicht auf. Zumindest verstehen will sie, was passiert ist. Sie paßt den Wirt, wieder im Hausflur, ab. Ohne Vorwurf in der Stimme, eher mit staunender Verwunderung, wendet sie sich an ihn, wie an einen Kampfgenossen.
„Scho komisch mit dene Ent’n, gei, daß de jetzt einfach nimma do war’n, ha?“
„Ja, i woaß a ned. I frog no amoi noch in da Küch!“
***
In der Küche dampft es, die Spülmaschine rumort, aus dem Radio dudeln volkstümliche Schlager. Schorsch, der junge rothaarige Hilfskoch, hat sich an den kleinen Tisch zu einer ersten Pause gesetzt, nachdem der große Essensansturm vorüber ist. Annemarie, die Bedienung, kommt gerade mit einem mit leeren Gläsern und abgegessenen Tellern vollbeladenen Tablett aus dem Gastraum und stellt es auf einer Anrichte ab. Da läutet das Telephon, das neben dem alten Gußeisenherd an der Wand hängt.
„Geh, Schorsche, mach amoi an Radio leiser, sonst versteh i nix!“
Schorsch dreht das Radio leiser.
„Ja, hallo?…Ja, do san’s richtig, ja, in da „Gotzinger Trommel““
Sie lauscht den Ausführungen am anderen Ende der Leitung.
„Aha, ja, ahso……ja, ja……der Mr. President……a wichtige Verpflichtung……ja, i versteh‘ scho……na, des is ja ned so schlimm……na, na, Sie san guad, Sie miass’n uns do gar nix zoin, de kriang ma scho no los, de Ent’n……Ja, eana a, Pfiad‘ eana!“
Bei den letzten Worten war der Wirt in die Küche gekommen.
„Wer is’n des g’wes’n?“
„Ach, oana von dene Amis mit da Sonnenbruin und am Hubschrauber. Da Mr. President konn iatz doch ned kumma mit seine Leid, weg’n ana „wichtigen Verpflichtung“. De san guad, was mach ma’n iatz mit dene ganz’n Ant’n um de Tageszeit?“
Über das Gesicht des Wirts legt sich ein erleuchtetes Grinsen.
„Macht’s de Ant’n fertig zum servier’n, aber glei!“
***
Am Familientisch haben Hunger und Ungeduld mittlerweile bei aller Liebe zu dem urigen Wirtshaus ein ungemütliches Maß erreicht. Laura hat sich vorgenommen, sich jetzt aber gleich wirklich beim Wirt zu beschweren, als die Tür zur Stube aufgeht und er sehr forsch hereinkommt, soweit das mit seinem kranken Fuß möglich ist.
„Ihr krieagt’s eire Antal!“, verkündet er siegesgewiß. „I hob in da Küch nomoi nochg’frogt; de Köchin, de hod de Ant’n ja a so verteidigt, mit Zähnen und Klauen hod se’s verteidigt! Aber iatz krieagt’s es glei.“
Noch während dieser Worte kommt Annemarie herein und stellt allen ihre Enten hin, dampfend und knusprig, mit Knödeln und Kraut.
***
Nach dem Essen hat man sich noch in den Biergarten gesetzt, dessen Kastanien schon ziemlich entlaubt sind, und ab und zu tanzt ein buntes Blatt langsam zu Boden. Es gibt hausgemachtes frisches Schmalzgebäck mit Puderzucker und Filterkaffee. Einer der Kellner holt sogar noch seine Zieharmonika für ein paar Landler, Walzer und Zwiefache, und die Handys werden gezückt.
Was sich da jetzt zugetragen hat und warum die Enten erst da, dann weg und dann doch wieder da waren, hätten alle natürlich gerne gewußt; aber vorhin waren alle hungrig gewesen und die Enten gut und saftig und der Wirt auch gleich wieder weg.
Der Vater sagt zu Sarah, die eine künstlerische Ader hat:
„Da müßte man eigentlich eine Kurzgeschichte darüber schreiben!“
Inzwischen hat sich der Himmel etwas zugezogen, und ganz hoch oben über den Schleierwolken hört man von fern einen Hubschrauber.